Wenn der Wald stirbt …

 

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Was habe ich geliebt an meiner Heimat seit Kindertagen? Honigbienen und den Wald. Unser Haus lag von Wald umgeben am Kerberg und Großvater erntete den geliebten Tannenhonig, den wir an jedem Nachmittag auf buttrigem Rosinenstuten verzehrten. Mein Zimmer war das kleinste im Haus, aber ich wählte es trotzdem, denn es lag im zweiten Stock mit Blick ins Grün der hohen Tannen. Jeden Abend öffnete ich die Fensterflügel weit und schlief ein mit dem Rauschen der Zweige.

Hin und wieder wurde ein Baum gefällt und es duftete nach Harz und frisch geschlagenem Holz. Ein Wohlgeruch, der mich mein Leben lang begleitete und den ich immerfort gesucht habe.

Heute bin ich zurück in diesem alten Haus mit dem verwunschenen Garten. Die letzten Sommer waren heiß und trocken. Eine ungekannte Hitze, sodass ich die alten grünen Schlagläden tags über schließen musste, als stünde das Haus irgendwo im Süden. Dort wo man in der Mittagshitze die Läden schloss und sich in den Schatten zurück zog. Aber nicht nur ich litt unter den Glutsommern. Es war der Wald, der nahezu plötzlich sein sattes Grün verlor, seine Geschmeidigkeit, sein Rauschen im Wind, wenn dieser durch die Zweige fuhr. Plötzlich standen Ast für Ast starr und braun, die Rinde löste sich von den Stämmen, die Nadeln von den Zweigen. Verdorrte mahnende Riesen. Todgeweiht.

Wie damals schlief ich in der Mansarde bei weit geöffneten Fensterflügeln. Das Kopfende des Bettes mit Blick in den Wald. Doch Morgen für Morgen wurde ich unsanft geweckt von den Einschlägen der Beile und den heulenden Sägen. Von den Schreien der Baumfäller kurz bevor die Stämme zerbrachen und mit einem gewaltigen Donnern auf den weichen Waldboden schlugen. Die Erde vibrierte gleich einem Erdbeben. Dann war es still. Totenstill. Und nur Minuten später das Gleiche von vorn. Tag für Tag. Am Ende zogen brachiale Maschinen die Stämme von den Bergen und zerstörten auch den Waldboden.

Tags durfte niemand den Wald betreten. Jeden Abend ging ich hinein, Baum an Baum lagen am Wegesrand. Noch nie habe ich Holz und Harz so intensiv riechen können wie an jenen Abenden. Ein ganzer Wald lag aufgestapelt am Wegesrand. Eine große Holzscheibe nahm ich mit nach Hause, um den Duft im Haus zu verströmen.

Kein Ast wehte mehr im Wind. Die Stille glich einer Totenstille. Ich setzte mich auf einen der gewaltigen Stämme, atmete ihren Duft.

Es schien friedlich und still, aber in Wahrheit war ich Zeugin eines Baumsterbens von einem scheinbar surrealen Ausmaß. Ganze Berghänge verloren ihre Fichten, standen kahl.

Doch war nicht der Wald auch manchmal ein Ort, an dem es dunkel und bedrohlich schien? Dort wo die Bäume dicht standen?

Heute war das Tal durchsonnt, kein Baum warf Schatten.

Der Wald stirbt. Die Hoffnung bleibt. Hoffnung auf Erneuerung.

© Sabine Wallefeld

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